Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig
Ganz, ganz herzlichen Dank für dieses freundliche Begrüßen und für
dieses Lob Leipzigs. Was gibt es denn Schöneres, als von anderen gelobt
zu werden. Dann kann man sich doch zurücklehnen und ganz freudig
zuhören. Ganz, ganz herzlichen, lieben Dank!
Lieber Franz Müntefering, lieber Herr Bsirske, sehr geehrter Herr
Sommer, sehr geehrter Herr Breit, meine sehr verehrten Damen und
Herren, ganz herzlich willkommen hier im Kongresszentrum auf der Neuen
Messe in Leipzig. Sie haben in der Tat den Ort vorzüglich gewählt.
(Heiterkeit)
Ich freue mich über jeden Kongress, der hier stattfindet. Sie wissen,
Kongresse sind gut fürs Geschäft, sind gut für die Wirtschaft. Aber
über diesen Kongress freue ich mich in der Tat noch mehr, weil er von
den Inhalten her anknüpft an eine ganz wichtige, wesentliche Tradition
dieser Stadt - und die ist eben genannt worden -: an das Thema
Demokratie, an das Thema Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden - und
nicht zuletzt an die Themen Gerechtigkeit, Würde und Solidarität.
Herzlich willkommen!
Ich darf sagen: Leipzig ist ein guter Ort für Gewerkschaftskongresse.
Ich darf Sie erinnern: Sie haben im Jahr 2000 wegweisend hier wichtige
Weichenstellungen für die Fusion gestellt. Hier wurde auch der letzte
Vorsitzende der ÖTV gewählt, der dann zum ersten Vorsitzenden von
ver.di wurde. Insofern könnte auch in dieser Woche etwas ausgehen von
dieser Stadt. Ich würde es mir von Herzen wünschen. Das wäre ein gutes
Zeichen. (Lebhafter Beifall)
Herr Peters, es ist kein Zufall: In vier Wochen werden wir die IG
Metall hier begrüßen. Ich freue mich ebenso darauf, auch von da ein
wichtiges Signal zu hören.
Meine Damen und Herren, ver.di ist dabei, seine Arbeitsstruktur neu zu
ordnen - ich weiß das -, so wie wir das in der öffentlichen Verwaltung
auch tun. Insofern sitzen wir sehr oft vor ähnlichen Problemen, vor
ähnlichen Strukturveränderungen, vor Reformarbeit. Das ist eine
Aufgabe, der sich niemand in der politischen Arena entziehen kann. Um
so wichtiger ist das Gelingen der Kooperation zwischen öffentlichen
Arbeitgebern und starken Gewerkschaften. Ich bin so selbstbewusst zu
sagen, dass wir hier vor Ort - um auch lokal etwas zur Zusammenarbeit
zu sagen - eine gute Zusammenarbeit mit ver.di seit langer Zeit
pflegen, geprägt von Anerkennung und Respekt. Wir erleben ver.di in
Funktion in unserer Stadtverwaltung, indem gewerkschaftliche
Vertretungsansprüche sehr bewusst und sehr selbstbewusst wahrgenommen
werden.
So ist es zum Beispiel zur Selbstverständlichkeit geworden, in der
Personalversammlung nicht nur die Stellungnahme des Oberbürgermeisters
oder der Personalvertretung zu hören, sondern eben auch die
Ausführungen der ver.di-Vertretung.
Diese Woche war Frank Bsirske bei uns. Überraschend tauchte er in
meiner Personalversammlung auf. (Heiterkeit) Aber es war gut so. Wir
sind zwar nicht immer einer Meinung gewesen, und es gab auch Kritisches
zu hören. Aber das muss so sein, und das ist gut. Wir brauchen diese
ganz klare, an der Sache orientierte Auseinandersetzung, um das Beste
zu suchen für die Beschäftigten, aber auch für das Wohl der
Stadt.
Ich will etwas Zweites erwähnen, das eben am Anfang Frank Bsirske und
Margrit Wendt auch schon hervorgehoben haben. Meine Damen und Herren,
die Stadt Leipzig ist jahrelang heimgesucht worden von ewig gestrigen
braunen Horden. Ein Mann namens Worch war tatsächlich nicht müde und
wollte bis zum 3. Oktober 2013 jeweils zum 1. Mai und 3. Oktober eine
braune neofaschistische Demonstration hier durchführen und hatte sie
angemeldet. Jedesmal sind Vereine, Verbände, Kirchen, Gewerkschaften
und hier insbesondere ver.di zusammen mit der Stadtverwaltung auf die
Straße gegangen und haben sich der Sache entgegengestellt. (Beifall)
Vielleicht, lieber Frank Bsirske, weißt Du das Schönste noch gar nicht.
Ich kann heute sagen: Worch hat nach der Erfahrung mit dem 1. Mai 2007
seine Restveranstaltungen abgesagt. Er kommt nicht mehr. (Starker
Beifall) Der Kampf hat sich also gelohnt. Ganz herzlichen Dank, dass
wir hier alle in dem Verein „Gemeinsam gegen rechts“ Courage gezeigt
haben und so aktiv waren. Einen solchen Einsatz brauchen wir auch in
Zukunft; denn - täuschen wir uns nicht - die Braunen sind nicht einfach
verschwunden. Sie sind da und bedienen sich vielfältiger Aktivitäten im
öffentlichen Raum bis hin zur bürgerlichen Existenzform, um uns und
damit der Demokratie zu schaden. Bitte, kämpfen Sie miteinander und mit
uns weiter, damit wir nie wieder eine solche Geschichte erleben.
Meine Damen und Herren, ein Weiteres möchte ich wenigstens kurz zur
Sprache bringen. ver.di hat etwas vorgemacht. Ich will jetzt keinem zu
nahe treten, aber politisch darf ich den Zusammenschluss von
ver.di-Mitteldeutschland würdigen. (Vereinzelt Beifall) Ich will auch
erklären, warum. Ich halte perspektivisch die Kleinstaaterei von
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für überhaupt nicht mehr
zeitgemäß. (Leichter Beifall) Sie machen vor, was wir in der Politik
vollziehen müssten. Ich kann Ihnen nur sagen: Leipzig wäre in diesem
Mitteldeutschland die zentrale Stelle, (Beifall - Heiterkeit) an der
wir uns weiterentwickeln.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Sätze sagen zu Ihrem
Motto „Gerechtigkeit - Würde - Solidarität“. Diese alten Forderungen
der Arbeiterbewegung haben bei einigen offensichtlich in ihrer
Überzeugungskraft nachgelassen und viel von ihrer Strahlkraft verloren.
Ich glaube dennoch, dass sie unglaublich aktuell und wichtig sind; denn
es versteht sich heute eben nicht mehr von selbst, was das ist:
Gerechtigkeit, Würde und Solidarität. Ich finde es gut, dass Sie es
miteinander durchbuchstabieren wollen. Eine wichtige Aufgabe der
Gewerkschaften liegt auch darin, über diese drängenden Fragen der Krise
in der Arbeitsgesellschaft diese Werte in die öffentliche Diskussion
und die politische Öffentlichkeit hinein zu tragen.
Wie sollen die Strukturen eines postindustriellen Arbeitsmarktes und
einer Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts aussehen? Hier muss eine
Diskussion belebt werden, die auf die alten Fragen von Mündigkeit,
Selbstbestimmung und Demokratie neue Antworten findet. Und um nicht um
den heißen Brei herumzureden: Natürlich brauchen wir im Zeitalter
globaler Wirtschaftsunternehmen neue Formen der gewerkschaftlichen
Mitbestimmung, natürlich müssen auch weiterhin diejenigen geschützt
werden, die den Wechselwirkungen der Konjunktur hilflos ausgesetzt
sind, und natürlich bedarf es auch weiterhin einer politischen Kultur
des Kompromisses, um Lösungen zu finden. Ein Gemeinwesen lebt in seinem
Zusammenhalt davon, die Bedingungen zu gewährleisten, die den Menschen
ein Leben und Arbeiten in Würde und Freiheit ermöglichen, und in einer
Arbeitsgesellschaft bleibt die wichtigste Voraussetzung dafür die
Erwerbstätigkeit.
Ich habe mit Freude gesehen, dass das Thema Mindestlohn im Programm
Ihres Kongresses steht. Gestatten Sie mir, von der kommunalen Ebene aus
noch einmal die Dringlichkeit gerade für uns hier in Ostdeutschland zu
vermitteln. Meine Damen und Herren, in dieser Stadt, die ich
beispielhaft nenne, leben 9.000 bis 12.000 Menschen - wir streiten noch
über die genauen Zahlen -, die voll beschäftigt sind und bei mir im
Rathaus ihr Geld für die Kosten der Unterkunft abholen. Ich finde, das
ist ein unerträglicher, unmenschlicher Zustand. Das ist unwürdig.
(Starker Beifall) Zum einen ist es schamvoll, voll zu arbeiten und
dennoch aufs Amt gehen und letztlich Sozialhilfe beantragen zu müssen,
und zum anderen ist es der Arbeitsleistung einfach nicht angemessen.
(Beifall)
Völlig unverständlich fand ich die Diskussion um den Kombilohn, weil
diejenigen, die dagegen waren, nicht zur Kenntnis nehmen wollten, dass
wir zurzeit einen kommunal finanzierten Kombilohn haben. Wir
finanzieren für viele Menschen die Kosten der Unterkunft, obwohl sie
voll arbeiten. Ich bitte Sie darum: Es könnte von diesem Bundeskongress
ein Fanal ausgehen, indem hier noch einmal massiv und offensiv Franz
Müntefering unterstützt wird, damit der Mindestlohn kommt. Wir brauchen
ihn, gerade hier. (Beifall)
Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Kongress.
Beim Ringen um die richtigen Lösungen muss die Sache im Vordergrund
stehen; das Ringen um die Antworten muss an der Sache und an den
Menschen orientiert sein. Sie sind an einem guten Ort. Wir stellen uns
den Traditionen der Demokratisierung von Gesellschaft, wir nehmen die
Menschen ernst in ihrer Würde und in ihrem Bedürfnis zu gestalten.
Glückauf für Leipzig, Glückauf für den Kongress. Kommen Sie jederzeit
wieder. - Danke. (Beifall)